Es gibt viele Reiseberichte über den Himalaya, das höchste Gebirge der Erde. Meistens geht es um kühne Gipfelbesteigungen, Expeditionen in den Bergen oder die Beschreibung fremder Kulturen, wie dem Volk der Tibeter oder der Sherpas. Selten aber wird beleuchtet, wie genau die Menschen in solch einer lebensfeindlichen Umwelt hausen.
Wie wirken sich extreme Höhe und Wetterverhältnisse auf die Bautätigkeit
aus?
Die Landschaft gibt vor, der Mensch reagiert.
Der indische Architekt Pratyush Shankar analysierte für seine Publikation ,Himalayan Cities – Settlement Patterns, Public Spaces and Architecture‘ unter anderem die Architektur in Manang, einer Ortschaft gelegen auf ca. 3500m Höhe. Hier herrscht ein trocken-kaltes, wüstenähnliches Kima. Die Luft ist auch im Sommer kalt, denn eisig-staubige Winde wehen täglich durch das Hochgebirgstal. Die ortstypische Architektur und Siedlungsstruktur verrät viel darüber, welche Strategien die Menschen entwickelten, um hier zu überleben.
Auch ich verbrachte einige Wochen in Manang und war beeindruckt von dem Bewusstsein für Umwelt und Klima, das
dort herrscht. Regeln, die heute an den Hochschulen gelehrt werden, wenn es um nachhaltiges und klimafreundliches Bauen geht, wurden hier am Dach der Welt scheinbar seit Jahrhunderten angewendet. Die Menschen hatten wohl keine Wahl, stellte doch das Bauen gegen die Natur, ohne technische Hilfsmittel, einen schwer zu gewinnenden Kampf dar.
Bauen am Hang hat Vorteile.
Sämtliche Dörfer in der Gegend um Manang sind sehr dicht gruppiert. Die Häuser bilden Bienenstock ähnliche Cluster, teilen sich Außenmauern und sind oft stufenartig am Hang gebaut. Dies hat den Grund, dass es nicht viel ebenes Land für den ohnehin kargen Ackerbau gibt (hauptsächlich Buchweizenfelder), und man deswegen für die Dörfer eine felsige Lage am Hang bevorzugte, um somit keine potenzielle Ackerfläche zu verschwenden. Alle Häuser sind nach Süden ausgerichtet und haben hier Sonnendecks, Verandas und Terrassen. Die Dächer und Terrassen sind aus Lehm und die Wände als Trockenmauerwerk ausgebildet. Man verwendete unbehauene Bruchsteine, die man in der Umgebung und im Fluss fand.
Eins werden mit der Landschaft.
Betrachtet man die Dörfer aus der Ferne, so sind sie kaum als menschliche Siedlungen erkennbar. Form, Haptik und Farben folgen der Landschaft, wie die Buchweizenfelder, die in die Hänge gepflügt worden sind. Sämtliche Baumaterialen sind hier vor Ort gefunden worden und in einem kaum bearbeiten Zustand verbaut worden. Die Häuser schmiegen sich dicht an die Felsen, windgeschützt und die Sonne aufnehmend. In einer Region in der Nahrungsmittelknappheit normal war und auch kaum Bäume wuchsen, musste mit Platz und Baumaterial stets gespart werden. Die Tatsache, dass die meisten Häuser als Reihenhäuser ausgebildet sind und sich die tragenden Außenwände teilen, lässt darauf schließen, dass auch sozial ein Zusammenrücken und Miteinander von Wichtigkeit war. Manch ein Haus konnte gar nur betreten werden, wenn man über das Dach des Nachbarn lief.
Auch in Europa baute man einst mit der Natur.
Es lassen sich durchaus Parallelen, zu ländlichem Bauen im vorindustriellen Europa ziehen.
Anders ist jedoch die penible Ausrichtung nach Süden von fast wirklich jedem Gebäude, sowie die äußerst material- und platzsparende Bauweise der Dörfer. Vielleicht sollte man beginnen, unseren modernen Siedlungs- und Städtebau zu überdenken und sich mehr an den Erkenntnissen unserer Vorfahren orientieren.
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